Urteil des LG Marburg - u.a.: Motorradkleidung - neu für alt

juristisches rund um das Motorrad und den Strassenverkehr
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Carlos

Urteil des LG Marburg - u.a.: Motorradkleidung - neu für alt

Beitrag von Carlos »

Hallo alle miteinander.

Ein guter Freund von mir hatte letztes Jahr im Mai einen Motorradunfall. Mittags, bei sehr guten Fahrbahn- und Sichtverhältnissen befuhr er eine neu asphaltierte Bundesstraße, die keine Fahrbahnmarkierungen hatte und auf 70km/h beschränkt war. Dabei setzte er zu einem Überholvorgang an, mit welchem er einen vor ihm fahrenden BMW überholen wollte, da dieser BMW merklich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fuhr. Als mein Freund mit dem Vorderrad auf Höhe der Hinterachse des BMWs war, zog dieser BMW links rüber. Dadurch berührten sich die Fahrzeuge kurz, obwohl mein Freund eine Schreckbremsung einleitete. Der Grund für das Ausscheren des BMWs war eine Abzweigung von der Bundesstraße, die von dem Standort der Berührung noch etwa 30m entfernt war. Mein Freund stürzte mit dem Motorrad. Die herbeigerufene Polizei stellte keinen ordnungswidrigen Überholvorgang fest, da nach übereinstimmenden Angaben der BMW zunächst rechts am Fahrbahnrand fuhr und sich der Unfall in der Fahrbahnmitte einer an dieser Stelle recht großzügig bemessenen Asphaltdecke ereignete.
Schäden am Pkw: Schleifspuren am Hinterrad, eine herausgesprungene Stoßfängerverkleidung, die mit leichtem Druck wieder "eingeklickt" werden konnte und keine äußerlich erkennbaren Schäden verriet; der vom Pkw-Eigentümer reklamierte Schaden lag nach unterschiedlichen Steigerungsformen bei zunächst 1.000, im anwaltlichen Schriftverkehr bei 2.500 und vor Gericht schließlich bei 3.000 EUR, ohne gutachterlichen Beleg. Das Motorrad meines Freundes wurde gutachterlich als wirtschaftlicher Totalschaden gewertet; dazu kommen Schäden an linkem Mopped-Stiefel, Motorradkleidung und Helm, sodass sich der Gesamtschaden bei meinem Freund bei knapp 6.000 EUR einpendelte.

Die Probleme dieses Falls waren die folgenden:
Der Prozess dreht sich nur um die zwei Aussagen der Unfallbeteiligten - und niemand sonst, da keine Zeugen erfasst wurden.
Das zweite Problem an diesem Fall war die Frage, ob der vorausfahrende Verkehrsteilnehmer bei seinem Ausscheren und Ansetzen zum Abbiegen die doppelte Rückschaupflicht wahrgenommen hatte.
Vor allem die zweite Frage war es, die maßgeblich dazu beitragen würde, wie der Richter entscheiden würde - also, ob es zu einer einseitigen oder, wie häufig in Verkehrsstreitigkeiten, anteiligen Schadensersatz-Verurteilung kommen würde.

Also Kurzform: Aussage steht gegen Aussage, und wie soll der Richter entscheiden?

Mein Freund hat in dieser Woche das Urteil schriftlich zugestellt bekommen. Darin stehen für uns Moppetentreiber ein paar interessante Dinge.

1. Durch das Aussageverhalten des Pkw-Fahrers ist der Richter zu dem Schluss gekommen, dass der Fahrer beim Einleiten des Abbiegevorgangs die doppelte Rückschaupflicht nicht eingehalten hatte. Hier gilt der sogenannte widerlegbare Anscheinsbeweis (prima facie-Beweis). Das heißt: Derjenige, der abbiegt und dadurch einen überholenden in einen Unfall verwickelt, muss schlüssig und widerspruchsfrei darlegen, dass er wirklich alle Sorgfalt gepflegt hat, um einen Unfall zu vermeiden, indem er seine doppelte Rückschaupflicht beim Abbiegevorgang eingehalten hat.

2. In diesem Zusammenhang hat das Gericht auch hervorgehoben, dass trotz fehlender Fahrbahnmarkierungen, sich anzeigender Abzweigemöglichkeiten in untergeordnete Straßen und trotz der vergleichsweise niedrigen Fahrgeschwindigkeit des vorausfahrenden Pkw keine unklare Verkehrslage vorlag, die es dem Moppedfahrer geboten hätte, einen Überholvorgang nicht einzuleiten. Insofern wurde mein Freund als Auffahrendem die Haftpflicht abgesprochen.

3. Deshalb hat trotz dieser kniffligen Gesamtlage das Gericht meinem Freund 100% Schadensersatz zugesprochen, während der Pkw-Eigentümer keinen Anspruch gegen den Motorradfahrer habe.

4. Aber - mit Ausrufezeichen: In Anlehnung an OLG Frankfurt am Main (Az. 22 U 162/08 Rn. 67 aus 2011), OLG Celle (Az. 14 U 97/07 Rn 91 aus 2007) sowie OLG Karlsruhe (Az. 15 U 71/08 Rn 7 aus 2009) hat das Gericht für Recht befunden, dass für die Motorradkleidung auf Grundlage einer fünfjährigen Lebensdauer ein entsprechender Abzug neu für alt vom Kläger (also mein Freund) hingenommen werden müsse. Das betone ich hier in aller Deutlichkeit, da zu diesem Thema immer wieder auch andere Urteile zitiert werden (Fundstellen habe ich gerade nicht), nach denen Motorradkleidung stets 1:1 zu ersetzen wären, also ohne Abzug neu für alt.

Verhandelt wurde der Fall vor dem LG Magdeburg. Gegen das Urteil wurden weder vom Kläger noch vom Beklagten keine Rechtsmittel eingelegt.

Oben bleiben!
Carlos
Zuletzt geändert von Carlos am Fr 14. Jun 2013, 16:13, insgesamt 2-mal geändert.
Grund: Titel-Änderung
Carlos

Neu-für-alt-Abzug bei Motorradkleidung

Beitrag von Carlos »

Hallo.

Das OLG München hat im Mai befunden: Neu-für-alt-Abzug gilt auch bei Motorradkleidung.

Nicht das Urteil, aber eine Zitierung in einem Recht-Blog ist hier zu finden:

http://blog.beck.de/2012/07/24/neu-fuer ... ment-40931" onclick="window.open(this.href);return false;

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Carlos
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